
Es war mehr mein Instinkt, als mein Verstand der mich im Moment geleitet hatte. Ich war nicht fähig mich gegen diese seltsame Art des Verlangens zu sträuben, die meinen Geist leitete und mich dazu drängte, diesen Ort wiedersehen zu wollen. Die Stelle, an der alles begonnen hatte, damals als ich mich entschloss mein Glück auf den Weiten der See zu suchen, ob den ich niemand war, der in ihre Arme hinein geboren wurde, wie manch anderer. Damals hatte ich noch nicht begriffen gehabt, was es hieß ein Fremdkörper zu sein, nichts weiter als ein Korken, ein Stück wertloses Leben, verloren auf den unendlichen Weiten des Ozeans, gefangen in einem Käfig aus schäumender Gischt. Gleichwohl jedoch hatte das Wasser einen Strom in mir entfacht, den ich noch heute zu begreifen nicht würdig war – ein Zauber lastete über diesem Ort, schwerer und ewiger als dass ihn ein Mensch jemals würde gänzlich erfassen können. Nur Dorisa hatte vermocht, einen Teil dieser Kräfte zu kosten und schließlich in den Kreislauf der Natur einzugehen, der sie unsterblich gemacht hatte.
Sie lief neben mir, beinahe in Reichweite, Tenaya, und wie bereits ihre Großmutter, war sie eine Person, deren Schweigen nichts zu verbergen schien. Man hörte sie ebenso gern sprechen, wie sich die Abwesenheit ihrer Worte genießen ließ, während wir gleichermaßen unseren knirschenden Schritten lauschten, die sich zielsicher ihren Weg durch den feuchten Kies bahnten. Hier und dort standen noch Leuten in kleinen Gruppen herum, schlichen finstre Gestalten durch die Nacht und sah man Schatten verstohlen im Dunkel verschwinden, während das warme Licht der Kneipe langsam hinter uns verblasste. Im Moment gab es nichts zu sagen – hätte sie mich gefragt, wohin dieser Weg uns führen würde, wäre ich ihr eine Antwort schuld geblieben, noch war mir selbst nicht klar warum und weshalb das Schicksal uns hierher geleitet hatte, wir dieselbe salzige Luft gierig in unsere Lungen sogen und jedes Denken vom Rauschen des Meeres erdrückt wurde. Sie selbst, wusste es vermutlich eher als ich – und selten, war ich so vollkommen ahnungslos gewesen. Wie vollkommen losgelöst von der Welt, schwebend und zugleich in tiefer Verbundenheit mit der Erde, dem steil ins Wasser abfallenden Felsen dessen Spitze wir gerade erklommen.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

In gemäßigtem Tempo liefen sie nebeneinander, schweigend, sodass nur das Knirschen der Schuhe auf dem unebenen Boden, das Brausen der Wellen gegen den nackten Fels und das Kreischen einiger vereinzelter Seevögel, die auf der Suche nach Futter oder einem Platz für die Nacht waren, an dem sie sicher vor dem Wind und den Wellen schlafen konnten. Ihr fiel auf dass das Schweigen, welches sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte wie ein samtenes Tuch nicht unangenehm war wie bei anderen Menschen. Es war eine stille Übereinkunft zweier verbundener Seelen sich dem Moment hinzugeben und ihn nicht mit unnützer Wortklauberei zu verderben. Das gefiel ihr sehr, denn oft kannte sie nur das unangenehme Schweigen der Menschen wenn sie an einen Ort kam, die nicht wussten ob sie sie anstarren oder weggucken sollten. Ganz zu schweigen von den wenigen Momenten, in denen sie ihre Kräfte einsetzte und es jemand mitbekam oder wenn jemand zu ihr kam und ihrer Hilfe bedurfte. Dieses Schweigen war ganz konkurrenzlos das Schlimmste. Betreten, ängstlich, fast stinkend.
Es dauerte noch eine ganze Weile bis sie schließlich einen sicheren und festen Stand hatten ohne dass sich weitere Steine unter ihren Füßen lösten oder der Wind die Möglichkeit hatte sie ungünstig zu erfassen und mitzutragen. Zumindest körperlich. Denn geistig sollte er genau dieses machen. Fortgeweht hinüber zum Meer, um sich dort in einer Umarmung mit diesem zu vereinen, einer Gischt aus Vergangenheit und Gegenwart gleich.Erst jetzt sah sie zu ihm hinüber und versuchte irgend eine Regung, einen Gedanken aus seinem Gesicht zu erfassen, der ihr irgendwie weiterhelfen konnte. Er hatte sie geführt, doch war sie sich nicht wirklich darüber im Klaren dass er wusste, wohin ihn seine Füße trugen. Aber hier auf der Klippe konnte sie sich fast denken um welchen Ort es sich handelte, welche Anziehungskraft von ihm ausging, auch ganz ohne in den Erinnerungen ihrer Großmutter danach zu suchen. Lang sah sie ihn einfach nur an, bevor sie sich, einem plötzlichen Impuls folgend, direkt vor ihn stellte und ihm ihr Handgelenk darreichte. Sie wusste genau, wer oder eher was er war und ging das Risiko bewusst ein.


Umso weiter unsere Füße uns in die Höhe trugen, desto mehr des tintenschwarz glänzenen Wassers tauchte vor meinen Augen auf, deren Blicke dank meiner verschärften Sinne der Dunkelheit trotzen und selbst den leichten Schimmer des Mondes, wie auch von all den abertausend Sternen auf der spiegelglatten Oberfläche erkannten. Ein funkelndes Spiel von Licht und Schatten, die leicht gekräuselt ineinander verflossen, ehe eine erneute Welle sie stürmisch zerriss, nur um gleich darauf an den steilen Wänden der Küste zu zerschellen. Leben und Tod gingen dieserorts Hand in Hand und niemand wäre so töricht, einen solchen Kreislauf jemals in Frage zu stellen ... vielleicht, war ich aus diesem Grunde einstmals der See zum Opfer gefallen, denn meine Spezies trotze bereits seit jeher den Mächten des eigentlichen Seins und Gehens, wiedersetzte sich dem Sterben und somit auch dem Laufe der Natur. Doch war es nicht sie selbst gewesen, die uns hervor gebracht hatte - wie konnte es dann sein, in einen solchen Zwiespalt zu geraten?
Meine Gedanken flossen mittlerweile nun mehr träge dahin, die leisen Schritte waren zum Takt einer tiefen Meditation geworden, einer Trance, aus der erst ihre flüssigen Bewegungen mich erweckten und zurück rissen, auf den Boden der Realität.
Ich spürte den beißenden Wind auf meiner Haut, doch die Kälte drang nicht zu mir hindurch. Schweigend erkannte ich den Sinn ihrer Unterbrechung und ebenso irritiert, wie auch verstört flog mein Blick in die Höhe. In ihrem Gesicht suchte ich nach Zeichen, ihre Geste fasch gedeutet zu haben, doch alles was ich finden konnte war die sanfte und zugleich fordernde Bestätigung es zuzulassen, dem natürlichen Verlangen meines Wesens nachzugeben, selbst wenn ich mich dadurch in ihre Schuld würde begeben müssen.
Ich kannte die Gefahr, wusste um das Risiko und dennoch löste sich mein Widerstand, wurde aus meinem Ensetzten Erkennen. Meine Zustimmung erfolgte durch ein kaum merkliches Nicken, während meine Hand wie von selbst nach der ihren Griff, vorsichtig über ihr Handgelenk strich und dieses schließlich langsam, geradezu ehrfürchtig an meine Lippen hob.
Es wirkte fast, als wollte ich sie küssen, während meine Zunge einen Moment lang geschmeidig über die zarte Haut glitt, instinktiv auf der Suche nach einer geigneten Stelle, ehe sich meine Zähne ruckartig, aber zielsicher in ihr Fleisch gruben.
Der süße Geschmack unterlegt von einer bitteren Note, aus der ich beinahe meinte den Hauch des Meerwassers zu schmecken, das mich einst beinahe verschlungen hätte. Kräftig und dunkel rann ihr Blut meine Kehle herab, während ich nun nicht mehr wagte den Blickkontakt zu brechen, nicht sicher ob ich würde mich beherrschen können, wartend auf ihre Reaktion.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

Seine Reaktion war lngsam, fast träge wie ein im Wasser dahintreibendes Stück Holz. Doch erkannte sie Verwirrung in seinem Blick, dem sie mit purer Entschlossenheit entgegensah. Sie hatte zwar keine Ahnung warum genau, doch sie wusste, dass durch die Gabe ihres Blutes, ihrer Essenz und einem Stück ihrer Seele an ihn die Gedanken klarer und die Vergangenheit verständlicher wurde. Natürlich besiegelte dies auch den Bund zwischen ihnen, doch war es eher eine Art Erneuerung der Verbundenheit, die er mit ihrer Großmutter bereits eingegangen war. Und wenn die Frau, die sie zwar nicht selbst kannte, doch bis über alle Maße hinaus schätzte wie keine Zweite dies getan hatte fand sie keinen Makel oder Fehler daran, genau das ebenfalls zu tun. Sie verstrickten ihre Leben erneut, verknüpften sie und banden sich aneinander im vollen Bewusstsein darüber dass es kein Zurück geben würde.
Das Nicken bekräftigte sie in ihrem Entschluss und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, auch wenn sich nun, wo die Zustimmung erfolgte, ein wenig Angst in ihr Bewusstsein schlich. Sie versuchte es so gut es ging zu verdrängen und nicht daran zu denken was passieren würde, wenn er nicht der war, für den sie ihn hielt, wenn er sich nicht unter Kontrolle haben sollte. Aber sie war stark und würde dann eine Lösung finden, dessen war sie sich sicher. Seine Hand umfing ihren Arm und führte ihn zu seinem Mund. Ein letztes zustimmendes Nicken sollte ihm zeigen, dass es ihr Ernst damit war und sie keinen Rückzieher machen würde. Nur kurz schloss sie Ihre Augen als seine weiche Zunge über ihre Haut strich. Zu lang war es her, dass sie jemand auf eine so intime Art und Weise berührt hatte. Doch als er zubiss öffnete sie ihre Augen wieder und bohrte ihm ihren Blick förmlich entgegen.Kein Laut entfuhr ihren Lippen während er zu trinken begann und ihren Lebenssaft in sich aufnahm. Und als hätte er dadurch ein Ventil geöffnet flossen die Gedanken, Gefühle, Erkentnisse und Erinnerungen an die Oberfläche ihres Bewusstseins und direkt aus ihr heraus. Sie erkannte ihn, sah ihn mit anderen Augen und wusste um ihn, wie wohl kaum jemand anderes es tat, zumindest an eine Zeit gebunden, in der sie selbst noch nicht existierte und er schon auf Erden wandelte. Wie eine Außenstehende und zeitgleich eng in das Geschehene einbezogen sah sie was geschah und spürte, wie eigene Zuneigung zu diesem Mann in ihr aufkeimte. Das verwunderte sie selbst, denn nach dem Tode ihrer Mutter schloss sie alle größeren Gefühle ihres Lebens aus, wissend, dass sie selbst damit ihre Seele beschnitt. Noch ein Wenig mehr gab sie ihm, bis sie ihre freie Hand hob und ihm sanft an die Wange legte. "Du kannst aufhören, Falk." bat sie ihn fast und benutzte das erste Mal seinen Namen, oder zumindest den, den sie in sich für ihn gefunden hatte.


Es war, als hätte die Zeit mit einem Male ihre Bedeutung verloren. Ich war nicht mehr im Stande einzuschätzen ob es Minuten oder Stunden waren die vergingen, betäubt war mein Denken von dem Wirbel an Vergangenheit, den Erinnerungen, vertrauten Bildern und dem einzigartigen Geschmack ihres Lebens, das mir wie das nährende Wasser einer heilenden Quelle entgegen floss. Zunächst nur ein dünnes Sickern, stärker werdend, ganz so als ob es einzig allein der Bestimmung nachkäme meinen Durst, nicht nur den körperlichen, sondern auch das Verlangen meines Geistes nach Antworten, zu stillen.
Tenaya ... Dorisa ... im Moment waren sie eins, verbunden durch ihr Blut, dessen vollmundiger, geradezu sündhafter Geschmack sich über all die Jahre hinweg erhalten hatte, eingebrannt in meine Erinnerung, was mir die Fähigkeit verlieh es wieder zuerkennen, sollte es mir jemals wieder über meine Lippen fließen.
Mein Blick hielt den ihren fest, Schluck für Schluck. Ich spürte wie die Gier begann an mir zu nagen, mir ihre sanften Stimmen zuraunten mich der Flut des Rausches zu ergeben, sie mir einflüsterte zu nehmen, wonach ich verlangte, mein Begehren zu stillen - ich war nun mehr wenige Schritte davon entfernt nachzugeben, im Freudentaumel des Genusses zu versinken, ehe das sanfte Funkeln ihrer Augen mich empfing wie das rettende Ufer und hielt, während der Sturm schweigend über mich hinweg zog und die Wogen sich zu glätten begannen. Die rauen Finger beinahe zärtlich über meine Wange streichend hieß sie mich in der Wirklichkeit willkommen, schenkte mir einige letzte Schlucke, ehe ich, nicht ohne die Wunde ein letztes Mal sanft zu liebkosen, die Kiefer löste und ein schwaches Lächeln den Zweifel vertrieb, der sich auf meinen Gesichtszügen niedergelassen hatte.
"Du erinnerst dich", sagte ich leise und es war keine Frage. Mein Name aus ihrem Mund schickte einen warmen Schauer über meine Haut, der davon zeugte, dass die Vertrautheit, welche ich mit einem Male verspürte mehr war, als nur eine leere Täuschung. Sie war Teil des uns umgebenden Bandes, ein Stück der Erkenntnis, deren Ganzheit wir erst erlangen würden, wenn es uns gelang die Zeichen zu deuten, deren Anwesenheit in jener Sekunde dichter erschien denn je.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

Auch wenn er derjenige war, der sich an ihrem Blute berauscht hatte litt sie ebenfalls an den Folgen dessen. Ihre Gedanken überschlugen sich, nicht mehr in der Lage zwischen Dorisas und den eigenen Erinnerungen zu unterscheiden, die nun durcheinanderwirbelten wie aufgeschäumte Wellen, die gegen eine Felswand brandeten. Wie ein Ertrinkender hin und her gerissen vom Wasser wurde sie mal von ihren eigenen, dann wieder von den Erinnerungen ihrer Großmutter umspült, sodass sie bald nicht mehr trennen konnte welche wessen Geist entsprangen. Es drehte sich alles in ihr und so sehr sie sich auch bemühte nach Außen hin ihre Fassung zu bewahren gelang es ihr einfach nicht. Zu viel auf einmal, sodass sich ihre Welt zu drehen begann. Nur er schien eine feste Konstante in dem wilden Reigen zu sein, und auch wenn sie es sich sicherlich zur späteren Stunde nicht verzeihen konnte trat sie noch einen Schritt näher an ihn heran und lehnte sich gegen seine Brust. So konnte sie zumindest sicher gehen, dass sie nicht umkippte und um den Kopf etwas klarer zu bekommen schloss sie dazu noch die Augen. "Ja ... ja, ich erinnere mich. Und es ist sehr viel. Zu viel um es auf einmal zu fassen." gab sie leise zu und hoffte dass er vielleicht etwas mehr Klarheit in ihr Durcheinander bringen konnte, so wie er ihr grade Halt gab und eine Stütze für sie war. Ihm so nah zu sein entlockte ihrem sonst so verschlossenen Gefühlskleid eine Vielzahl verschiedenster Emotionen mit denen sie zusätzlich zu kämpfen hatte. Die Wärme die von ihm ausging, die langsam durch ihre klammen Kleider drang, erwärmte sie mehr als ein Feuer im Herd oder der Anblick des Meeres. Ihre Hand lag locker auf der Höhe seines Herzens und spürte das leicht kratzige Material unter der Haut. Schlug sein Herz eigentlich? Für einen Moment, so glaubte sie zumindest, fühlte es sich fast so an. Und wenn nicht, konnte es lieben? Dorisa war davon überzeugt, doch war es noch immer so? Wenn selbst sie schon für sich beschlossen hatte das Emotionen schlecht für sie waren und nur mit Schmerz einhergingen, wie war es dann erst bei ihm, der er so viel länger auf Erden wandelte als sie?


In welcher Zeit lebten wir ... ich wusste es nicht mehr. Spürte wie die Jahrhunderte über mich hinweg fegten, all jene Jahre, die ich überdauert, Leben, welche ich gelebt und Menschen, die ich einst gekannt hatte. Zu viel und zu flüchtig um etwas greifen zu können und so hielt ich mich an dem einzigen fest, das mir blieb, während ich dem reißenden Abgrund der Zeit entgegen blickte, vor dem ich stets versucht hatte zu fliehen. Ich war alt, älter als es einem normal Sterblichen jemals vergönnt gewesen wäre und doch - hatte jemand erahnen können, was für Schmerzen die Zeit mit sich brachte, wenn man sich ihrer Vergänglichkeit bewusst wurde?
Sämtliche Wege der Flucht waren mir versperrt, ich musste mich dem Wissen entgegen stellen um das Geheimnis zu lüften, dem wir beide an diesem Abend begonnen hatten hinterher zu jagen. Falls es überhaupt noch dieser Abend war, Dekaden konnten verstrichen sein, während ihr Blut uns aufs neue verbunden hatte, geistig wie auch ... körperlich.
Mit jener plötzlichen Nähe hatte ich nicht gerechnet und doch, legte ich unvermittelt und sanft einen Arm um ihre Schultern, als wolle ich sie vor der Last schützen, die drohte sich darauf niederzulegen. Und so bedeutungslos diese Berührung auch erscheinen konnte, meine Empfindungen zeugten von anderem, während meine Hand zärtlich über ihre Wange strich und ich die fremd vertrauten Gesichtszüge musterte, als kämen sie einem Kunstwerk gleich. Nichts anderes waren sie in meinen Augen. Zwei Personen, die sich eine Seele, wie auch einen Körper teilten, in dem sich die Vergangenheit mit der Zukunft kreuzte.
Dorisa, sie hatte mich gekannt, nahezu besser als jede andere auf dieser Erde aus Granit. Sie hatte um meine Einsamkeit gewusst, der Angst und der ewigen Suche diesem Leben einen Sinn zu geben, Trauer um all jene die ich verließ und Wut auf diejenigen, die es vor mir taten. Bei ihr hatte ich ein zu Hause gefunden, weder Haus noch Hof, sondern den Platz in einem Herzen, das mich hielt und wartete, wann immer ich für einige Zeit verloren gegangen schien. Bis ich gegangen war, sie verlassen hatte aus Angst mich für immer in ihr zu verlieren ... ohne das wissen, dass es schon längst geschehen war.
Immer war sie da gewesen. Nicht wie Alaina, deren Nähe ein Kampf war, die Liebe eine Strafe und die Flucht unser einziger Weg.
Sie war da gewesen, in dem Wissen, dass auch ich immer würde wieder kommen. Fast immer.
Für einen Moment verspürte ich den Drang meinen Kopf zu ihr hinunter zu beugen, das Salz ihrer Lippen zu schmecken und die Antwort auf die stumme Frage zu erfahren, ob der Riss, welchen ich einst in ihrer Seele hinterlassen hatte noch immer die Spuren meiner einstigen Anwesenheit trug. Ich war nach Hause zurück gekehrt, doch es war geradezu töricht zu erwarten, dass dieses sich noch immer das meinige nannte. Nein, gewiss nicht. Und so hielt ich in meiner Bewegung inne, beließ es bei einem leisen Seufzen, während ich meinen Blick anwandte, über ihre Schultern hinweg gleiten ließ, fern bis in die Weiten der See und hinauf zum Horizont. Konnte es sein, dass ein Feuer nach all der Zeit noch brannte, wartete, vielleicht sogar ersehnte?
Hast du das Meer gesehen, so hast du viel gesehen und kennst doch nur die halbe Wahrheit.
So lautete nur eine ihrer vielen Weisheiten und wenn ich eines wusste, so dass die See ewig war, warten würde und niemals verging, ganz egal was die Weltlichen in der Zwischenzeit auch treiben mochten. Es blieb die Angst, die Furcht zu versinken und auf immer in ihren Tiefen verloren zu gehen.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

Noch immer umwirbelten sie die Gedanken und Erinnerungen, durchzogen von Gefühlsregungen, die ihre Großmutter durchlebt haben musste. Große Freude wechselte sich mit herzzerreißender Trauer und abgrundtiefem Hass und vielen Abstufungen davon ab, und immer wieder tauchte aus den Wogen etwas so Klares und Reines auf, dass sie allein nicht zu deuten vermochte. Erst in Verbindung mit den Bildern konnte sie erkennen um was es sich handelte. Das erste große Mal zeigte es sich im Zusammenhang mit einem Mann, von dem Tenaya wusste, dass es ihr Großvater war. Ein anderes Mal erblickte sie das leicht runzlige Gesicht eines Neugeborenen, tiefe, fast schwarze Augen und so unverkennbare Muttermale um die Nase herum, sodass ihr sofort klar war, dass sie ihre Mutter als Säugling sah. Auch hier tauchte dieses reine Gefühl auf, bevor es wieder verebbte und einem Anderen zu einem anderen Bild wich. Und immer wieder stahl es sich kurzerhand zurück im Zusammenhang mit einem anderen Gesicht. Jedes Mal, wenn es auftauchte, war es unverändert jung, ohne dass der Zahn der Zeit an ihm genagt hatte. Nur kurz öffnete sie ihre Augen und blickte auf, bevor sie die Lider erneut schloss und sacht lächelte. Natürlich. Wer sonst hätte es sein können wenn nicht er? Sie wusste, dass ihr Großvater die wilde und ungestüme Dorisa nicht hatte halten können, jedoch mit diesen Informationen war ihr ebenfalls klar, dass es nicht allein an ihm gelegen hatte.
Dass er nicht zurückwich war ein gutes Zeichen, denn so konnte sie sich die Zeit nehmen, die sie brauchte, um ihren Kopf frei zu bekommen und wieder allein stehen zu können. Was dies alles nur weiter verzögerte war sie Tatsache, dass sie plötzlich etwas weiches an ihrer Wange verspürte. Seine Hand, die über ihre Haut strich. Ohne zu wissen aus welcher Intention heraus sie es tat schmiegte sie ihren Kopf etwas mehr in seine Handfläche und genoss das Knistern, welches sich von dem Punkt ausbreitete, an dem sie sich berührten.
Sie spürte wie er sich bewegte und vernahm ebenfalls das leise Seufzen welches er ausstieß und entschloss sich dazu ihre Augen wieder zu öffnen. Mehrfach musste sie blinzeln bis sie wieder scharfer sehen konnte und die Konturen seines Gesichtes deutlich erkannte. Was ging nun ihn ihm vor? Was dachte er jetzt? Sein Blick lag in weiter Ferne, nicht nur auf den Horizont gerichtet sondern auch tief in sich gekehrt. Hatte er vielleicht Angst davor, dass sie ihn von sich stoßen würde sobald sie wieder Herrin ihrer Sinne war? Sie wusste um den Schmerz, den er Dorisa zugefügt hatte. Doch es war eine süße Pein, die sie gern ertrug, wissend dass er wieder zu ihr zurückkommen würde. Lediglich kurz vor ihrem Dahinscheiden steigerte sich dieser Schmerz ins unermessliche, doch konnte sie nicht sagen ob es daran gelegen hatte dass er nicht noch einmal zu ihr kam oder dass sie ihn nicht noch ein letztes Mal halten durfte. Tenaya entschied für sich mit dem, was sie sah, dass es eher der Tatsache entsprang, dass er nun ein Leben ohne sie zu führen hatte und somit einer Zuflucht beraubt wurde. Langsam drehte sie ihren Kopf, sodass er näher an seinem Ohr war. "Sie war dir nicht böse dass du nicht noch einmal gekommen bist. Nun hast du sie so in Erinnerung wie sie war und nicht wie sie niemals sein wollte." raunte sie ihm leise entgegen und verharrte in dieser Position. Selten war sie jemandem so nahe gewesen und fühlte sich nicht beklemmt oder eingeengt. Zwar stand sie seelisch nackt bei ihm, doch er ebenso und das glich alles wieder aus. Sie konnte so sein wie sie war, musste sich nicht verstellen oder Angst davor haben, verstoßen zu werden. Er kannte sie, sowie sie ihn kannte, auch wenn sie sich jetzt hier und heute das erste Mal begegneten. Und auch wenn sie sich eines unweigerlichen Abschiedes bewusst war spürte sie dass sie sich dagegen sträubte. Sie wollte nicht, dass er ging, wollte nicht allein zurück bleiben, was sie sehr verwunderte. Sie, die ihre Freiheit mindestens genauso liebte wie ihr eigenes Leben, fühlte sich geschwächter bei dem Gedanken an seine Abwesenheit. "Ich will nicht, dass du gehst ... zumindest nicht gleich." entwich es ihren Lippen bevor sie genauer darüber nachdachte.


Die Worte ihrer dunklen Stimme ähnelten einem einem vertrauten Gewand, das sich fließend um mich legte, als wollte es die offene Verletzlichkeit meines Herzens schützen, obgleich ich es gewesen war der ihre Großmutter damals verlassen hatte. Für immer verlassen.
Die Jahre waren länger geworden und die gemeinsamen Zeiten immer kürzer, bis sie schließlich ganz ausblieben und verebbten wie eine erschöpfte Quelle, ausgetrocknet durch die Hitze des Sommers und nicht rechtzeitig belebt, ehe das winterliche Eis sie für immer einfror. Doch diese Sätze nun glichen einem Trost und ein Teil der Schuld floß von meinen Schultern, eingesogen von jenem Mantel aus Vergebung, den sie um mich zu legen bereit war, während ein leichtes Zittern durch meinen sonst so unverwundbar geglaubten Körper durchlief. Wie leicht konnte ich doch auch diesen Moment verlieren, wie schnell konnte er enden und die unumgängliche Erkenntnis, dass auch unsere Wege sich wieder trennen würden bließ mir die Kälte bis tief in meine Knochen, während sich mein Innerstes angesichts der drohenden Einsamkeit geradezu schmerzhaft zusammen zog.
So viel Zeit mir auch vergönnt gewesen war sie zu vergessen, obgleich mein Verstand gute Arbeit geleistet hatte, die Gebiete jenseits meiner Vernunft hatten sich die Erinnerung bewahrt, die Verbindung am Leben erhalten, um sie nun wieder aufleben zu lassen, unerwartet und heftig, wie ein Sturm dem zu stellen ich kaum allein würde wagen können. Und trotzdem klangen meine Worte überraschend ruhig, beständig und fest wie ein Fels in der Brandung, obwohl ich selbst mich mehr denn je, wie ein Part dieser unruhig strömenden Massen fühlte. "Ich werde bleiben", entgegnete ich schlicht, ohne mir dem tatsächlichen Ausmaß meiner Worte bewusst zu sein.
Doch eben dies war ein Teil des Versprechens - es zu halten, auch wenn man seine gesamte Bedeutung erst zu begreifen beginnt, sobald man es einmal gegeben hat. Was nun auch geschehen mochte, für den Moment genügte es die Stille zu genießen, Tenaya in meinen Armen zu wissen, die sich sachte um ihren Körper legten, als sei dies bereits seit Ewigkeiten ihr angestammter Platz und unser gedankenschweres Schweigen zu teilen. Ich würde bleiben- etwas das ich Dorisa niemals zu versprechen gewagt hatte.
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because a dance with the devil might last you forever.

Zweierlei Dinge hatte Tenaya für sich beschlossen. Zum einen wollte sie dort weiter machen wo ihre Großmutter unwillentlich aufgehört hatte. Sie wollte für ihn da sein, ihm den Schutz und die Sicherheit zukommen lassen, die er so dringend brauchte und nach der er suchte. Er sollte in ihr immer eine Heimat, eine sichere Zuflucht finden, zu der er sich zurückziehen konnte wenn er des Lebens und der Hektik des Alltags überdrüssig wurde. Und zum Anderen wollte sie gemeinsame und vor allem neue Erinnerungen mit ihm schaffen. Es war zwar ein Trost auf die gemeinsame Zeit Dorisas und ihm zurückgreifen zu können wann immer ihr danach war und sie selbst dadurch am Leben zu erhalten, dennoch keimte in ihr der Wunsch die Geschichte mit ihm neu zu schreiben. Nie würde es so werden wie bei zwei Unbekannten, die sich neu kennen lernten, die Schwächen und Stärken des jeweils Anderen entdeckten und selbst abwägen konnten, ob sie den Weg gemeinsam beschritten oder nicht ohne dabei eine bleibende Spur zu hinterlassen. Denn dafür war es zu spät, das Netz bereits gesponnen. Doch das störte sie nicht im Geringsten. Für sie zählte nur die Grundlage, die sie durch ihre Großmutter erhalten hatte auszubauen und sie als Fundament für etwas Eigenes zu nutzen. Natürlich hatten sie noch immer die Möglichkeit getrennte Wege zu beschreiten, doch wussten sie wohl beide dass dieser Moment immer in ihren Köpfen und Herzen hängen bleiben würde.
Seine Worte waren klar, prompt und ohne Zweifel gesprochen und sie fühlte, wie ihr Herz dabei leichter wurde. Selbstverständlich war es kein Versprechen für die Ewigkeit. Sicherlich hatte er ein Leben außerhalb des Meeres, zu dem er zurückkehren musste. Doch bis es soweit war wollte sie selbst dafür Sorge tragen Erinnerungen zu schaffen, die ihre Eigenen waren und an die sie zurückblicken konnte. Als seine Arme sie umfingen musste sie wohlig aufseufzen und fühlte keinerlei Drang davonzulaufen, nun wo er ihr den Fluchtweg gänzlich abgeschnitten hatte. Ganz im Gegenteil legte sie ihren Kopf an seine Schulter und vergrub ihr Gesicht fast in seiner Halsbeuge, die Stille und das rauschen des Meeres genießend als wäre dies alles, was sie zum Leben bräuchte.


Auch das hatte ich vergessen. Hatte nicht mehr gewusst, geschweige denn geglaubt, dass ich noch zu einer derartigen Reaktion fähig gewesen wäre. Die Geste jedoch war ebenso intuitiv, wie auch vollkommen rein ohne einen Gedanken, geschweige denn einen Hintergedanken an das Kommende zu verschwenden. Solange sie hier war, so wusste ich, brauchte ich nichts zu fürchten, war nichts auf der Welt mehr von größerer Bedeutung als dieser eine Moment. Ich fühlte mich wie unter einer Glaskuppen geborgen, gefangen im Taumel der Empfindungen verschiedenster Art, doch ohne den sonst so bekannten Drang davon zu laufen, zu verschwinden wenn es mir zuviel wurde, denn ich wusste, solange sie bei mir war, ich ihren Geruch von Salz, Holz, Kräutern und einer herben Süße, die ich nicht einzuordnen vermochte, vernahm würde ich nicht weichen. Ganz im Gegenteil, ich war gerade wieder, nach langen, viel zu langen Jahren zu Hause angekommen.
Bisweilen neigte ich noch immer dazu zu vergessen, dass nicht Dorisa vor mir stand. Und dennoch war sie einzig gewesen auf dieser Erde, genau wie auch Tenaya einzig war in dieser Welt und mir mit jeder Regung deutlicher bewusst wurde eine andere Frau in Armen zu halten, als damals deren Großmutter. Die plötzliche Vertrautheit miteingeschlossen schien es mir nur natürlich, nahezu vollkommen diese Nähe zu genießen, ihrem Herzschlag zu lauschen der sich für meine Ohren noch deutlich vom Rauschen der See abhob und das dunkle, lebendige Blut durch ihre Adern schickte, sie am Leben erhielt und lebendig machte. Lebendig war zu einem beinahe selbstverständlichen Wort geworden, obwohl die drei Silben so viel mehr enthielten als lediglich die bloße Beschreibung eines auf der Erde wandelnden Individuums. Manche Leute existierten nicht mehr, obden ihre fleischliche Hülle noch immer zu Handeln bereit war, ihre Seelen waren leer - ja, ich wusste wie sich diese Leere einst angefühlt hatte. Ich nicht vor dem hatte fliehen können, was tief in mir saß. Erfüllung zu finden nahezu unmöglich. Einem Teil meiner selbst war ich hinterher gejagt, hatte es durch Elisabeth Petrova am Leben erhalten und es gleichzeitig für immer verloren, nicht im Stande mich ohne sie jemals als Ganzes zu fühlen. Bis jetzt.
Ihre bloße Anwesenheit schien mich zu beflügeln, ihre Kaft sich auf meinen Geist zu übertragen, während ein sanfter Schauer meinen Nacken hinab glitt, da ihr warmer Atem auf die Haut meines Halses traf. Mein eigener Kopf senkte sich wie von selbst zu ihr hinunter, spürte ihr Haar sanft meine Wange kitzeln und durch ihr Gewand hindurch die Kraft ihrer sehnigen Muskeln, als meine Hand ihren Rücken langsam hinab glitt, sie näher an mich zog, als fürchtete ich sie jeden Moment zu verlieren. Allein würde ich einer solchen Angst niemals Herr werden können.
"Danke", hauchte ich beinahe tonlos, nahe ihrem Ohr und hörte selbst, wie meine Worte nahezu vom wilden Wispern und Zischeln der aufbrandenden Wellen geschluckt wurden, ehe sich meine Lippen wie von selbst an die verwundbar weiche Stelle ihrer Schläfe legten. Dies war nicht länger eine Sache des Denkens, viel mehr folgte ich in zögerlichen Schritten dem Tanz meiner Gefühle, die meinem Bewusstsein bereits weit voraus geeilt waren.
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because a dance with the devil might last you forever.

Wenn sie gewusste hätte wie ähnlich kaputt sie beide waren hätte sie wohl lauthals zu lachen begonnen. Denn wie oft kam es vor, dass zwei Wesen, die sich scheinbar so ähnelten zueinander fanden? Die Chancen dafür standen wohl sehr gering. Doch sie standen hier, eng umschlungen und den Witterungen und dem Leben trotzend. Egal was jetzt kommen würde, sie hatte das Gefühl allem erhobenen Hauptes entgegenstehen zu können, alles zu meistern was man ihr zuschob. Das letzte Mal als sie sich so gefühlt hatte war mit ihrer Mutter zusammen, die ihr immer Mut zusprach und sie in ihren Taten bestätigte. Dies jedoch konnte sie jetzt nicht mehr und so hatte sie keinerlei Rückhalt mehr, niemanden, der sie lenkte, sodass sie ihre Schritte allein gehen musste. Und scheinbar hatten sie diese direkt zu ihm geführt, zu dem Einen von Millionen, der ihr genau dass wiedergeben konnte, was sie mit dem Tod ihrer Mutter für immer verloren zu haben schien.
Wieder spürte sie seine Bewegungen und ihr Körper reagierte sofort darauf, ganz so als wäre er es gewohnt im Einklang mit dem anderen zu agieren, jede seiner Aktionen mit einer entsprechenden Reaktion zu beantworten und somit ein harmonisches Gesamtbild zu ergeben. Die Worte, die durch das Rauschen der Brandung zu ihr getragen wurden bestätigten sie in ihren Handlungen, in dem Moment und in ihrer Entscheidung. Doch bevor sie auch nur dazu kam etwas zu antworten spürte sie etwas ganz Unerwartetes. Seidig weich legten sich seine Lippen auf ihre Haut und jagten Schauer durch ihren Körper, den Rücken hinunter und wieder hinauf. Natürlich war dies nicht die erste Berührung eines Mannes, doch noch nie hatte sie so viel Gefühl in einem solchen Kontakt gespürt. An grobe Hände, auf die sie öfter als es ihr lieb war draufschlagen musste, war sie gewohnt, die ihr mit schwieliger Haut das gaben, was sie zu brauchen dachte. Im Nachhinein merkte sie aber, dass es nicht der schale, nach Alkohol stinkende Atem und das grobe Drängen der Fremden war, nach dem sie sich verzehrte und ihr Herz aufgehen ließ. Es waren so intime Berührungen wie eben diese, die sie von ihrer Familie kannte und nur unter ihr auszutauschen pflegte. Nur dass sie nicht abzuwägen vermochte ob die wohlige Wärme von dem Gefühl der Geborgenheit ausging, die er ihr schenkte, oder des schieren Verlangen nach mehr. Sie wusste dass es nur eine Möglichkeit gab, dies herauszufinden. Und von einem Anflug von Mut und der alten Selbstsicherheit gepackt hob sie ihren Kopf. Verschmitzt sah sie in seine Augen, bevor sie das letzte Bisschen Distanz zwischen ihnen überwand und fast verlangend ihre Lippen auf die Seinen legte.


Beinahe erweckte es den Anschein, als sei auch das Buch unserer gemeinsamen Geschichte bereits geschrieben, so sicher und ohne scheu waren unsere Bewegungen. Eine Harmonie, die der eines einstudierten Tanzes glich, unterlegt mit der Spannung des Unerwarteten. Nicht mehr als eine bloße Ahnung des Kommenden lag in der Luft, doch bereits jetzt war in meinem Herzen ein Platz für diese gemeinsamen Stunden reserviert, ein Königreich für die Erinnerungen, welche sie mir an diesem Abend wieder gegeben hatte. Doch nicht nur das. Neben den Gedanken an Dorisa waren noch ganz andere Gefühle entstanden, das neue Band zu Tenaya war nun die in meinem Kopf vorherrschende Verbindung, beschienen von dem brennenden Wunsch nach mehr. Nur, wie weit durfte ich gehen?
Diese wundervolle Stille wollte ich weder durch Worte noch durch Taten zerstören, war sogar bereit diesen Moment als vollkommen anzunehmen, ohne den Versuch zu wagen meinen leise aufbegehrenden, innersten Versuchungen nachzukommen. Stattdessen jedoch nahm sie mir jene Entscheidung ab. Noch ehe ich zu Ende gedacht hatte, noch ehe die Glut der lodernden Gefühle endlich zur Ruhe gekommen war, trafen ihre überraschend weichen Lippen die meinen und entflammten mit ihrer zärtlichen Berührung erneut den beinahe verzweifelten Drang diese Sekunden auf irgendeine Weise für die Ewigkeit währen zu lassen.
Einen kurzen Augenblick zögerte ich schließlich noch, ehe ich den Kuss mit eben derselben Intensität erwiderte, mit welcher ich ihn empfangen hatte. Fast glaubte ich den Ozean zu schmecken, die leibhaftige See in Armen zu halten, während die anfänglichen Zärtlichkeiten einem aussichtslosen Kampf um Atem wichen. Ich war nicht länger in der Lage dieser Naturgewalt zu widerstehen, spürte den Wind an meinen Kleidern zerren und vernahm weit entfernt das Meeresbrausen, während ich selbst wie eine niedergehende Welle am Fels ein letztes Mal das Salz ihrer Lippen kostete. Dann hob ich meinen Kopf, löste mich wider Willen und blickte ihr mit dem Anflug eines Lächelns entgegen. In meinen Augen stand wohl zu lesen, dass ich mich die gesamte Nacht danach verzehren würde Berührungen dieser Art zu tauschen, deren raue und zugleich heilende Kräfte mich am Leben erhielten. Ihre Großmutter hatte mich damals vor dem Tode bewahrt und sie tat es nun wieder, auf eine andere, viel sinnlichere doch ebenso magische Art.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

Das Zögern entging ihr nicht und schon hatte sie die Befürchtung zu weit gegangen zu sein oder gar die Reaktionen und Signale, die sie glaubte zu spüren falsch interpretiert zu haben. Unsicherheit machte sich schlagartig in ihr breit, fraß sich Säure nicht unähnlich durch ihre Venen. Ganz selten hatte sie sich so verletzlich gefühlt und merkte, wie sich etliche Fragen in ihr Bewusstsein schlichen, dem inneren Zweifel Nahrung liefernd. Doch noch bevor sie sich ausformulierten und ihr niederträchtiges Machwerk begannen spürte sie Bewegung. Ganz vorsichtig zunächst, wie das leise Summen des Meeres bei lauem Wetter, dann immer leidenschaftlicher gleich der offenen See. In ihr konnte sie sich verirren, sich den Wogen hingeben und sich in ihnen zur Gänze verlieren. Jahrzehnte oder nur Sekunden strichen an ihr vorbei ohne dass sie ihrer würdigte, so fixiert war sie auf ihn und diesen Kuss. Der Strudel der Zeit schien sich erst etwas zu legen als er sich von ihr löste und sie ihre Augen erneut öffnete. Ihre Blicke trafen sich und sie erkannte, dass sich wohl das gleiche Begehren in ihnen beiden breit machte. Doch war es nicht zu früh? Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass Männer nie sofort das bekommen sollten, was sie brauchten und wollten. So würden sie mehr kämpfen und es nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen und davon ausgehen, dass sie es immer bekamen wenn sie denn wollten. Viel Wahres lag in diesen Worten, doch rang sie mit ihnen und dem, was ihr Körper verlangte. Sein Lächeln erwiderte sie während sie leicht auf ihre Unterlippe biss. Noch einmal streckte sie sich zu ihm und stahl sich einen weiteren Kuss, bevor sie sich ihm und seiner schützenden Umarmung entwand und langsam rückwärts ging. Wissend, dass die Klippe hinter ihr mit jedem Schritt näher kam ging sie weiter, den Blick auf ihn geheftet und schelmisch grinsend.



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