Sie hätte niemald gedacht, dass sich der Abend in eine solch emotionale Richtung entwickeln würde. Normalerweise waren die einzigen Gefühle, mit denen sie zu kämpfen hatte, der aufkommende Ekel der einfach ab einer gewissen Uhrzeit und mit wachsendem Grad des Alkoholkonsums eintrat. Aber in der Stille, die sich erneut zwischen ihnen beiden ausbreitete, hatte sie genug Zeit um auch in sich hinein zu fühlen. Es war erstaunlich wie sich zwei Quellen der Emotionen so unzertrennlich vermischten, sodass sie nur davon ausgehen musste, dass alles Gefühlte zwangsläufig ihrem eigenen Kern entsprang. Sie wusste nicht wirklich, was ihre Großmutter mit diesem Mann verband außer dem, dass sie eben selbst sah, doch musste er einen großen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Eine tief verwurzelte Leere konkurrierte mit dem großen Wunsch ihn noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Doch Tenaya wusste nur zu gut, dass dies nicht möglich war. Genauso wie ihre eigene Mutter musste sich schon Dorisa um ihre Tochter allein kümmern. So blieb keine Möglichkeit fort zu gehen um nach dem Abenteuer zu suchen.
So tief in sich selbst versunken wie seit langem nicht mehr schnitten seine Worte tief und zerrten sie zurück in die Realität. Vieles hätte er nun sagen können, doch er hatte sich genau für diese vier Worte entschieden, die auch ihre Mutter ihr einst sagte. Als kleines Kind wollte sie erfahren, warum ihre Mutter sie von Zeit zu Zeit mit einem traurigen Lächeln und Tränen in den Augen aunsah. Jedes Mal erklärte sie ihr, sie denke an ihre eigene Mutter. Und so sicher wie die Ebbe auf die Flut folgte fragte Tenaya jedes Mal, warum sie schon verstorben sei. Sie ist nicht tot, sie lebt in dir weiter. Damals hat sie es nicht verstehen können. Es war zu groß, zu viel auf einmal für einen Kinderverstand. Und auch in der Zeit bis jetzt war sie sich nicht immer sicher gewesen, ob die Worte ihrer Mutter wahren Ursprungs war. Durch ihn änderte sich jedoch alles. Zu gern hätte sie ihrer Mutter nun sagen können das sie glaubte, dass sie das letzte fehlende Glied der Kette fand, dass ihr Wissen festigte, dass ihre Mutter schon so lang im Herzen bewahrte.
Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie ergriff ihr Glas, um es zu leeren. Langsam stellte sie es zurück auf den Tisch und fuhr mit ihrer Zunge über die Lippen, um sie von dem Rest des Schaumes zu beseitigen. Einem inneren Drang nachgebend streckte sie ihren Arm aus und legte ihre Hand auf seine. "Danke. Durch dich weiß ich es jetzt auch sicher." raunte sie ihm leise entgegen. In dem Augenblick jedoch, als die raue Haut ihrer wettergegerbten Hand die Seine berührte durchfuhr sie ein Schauer, der durch ihren ganzen Körper lief. Erst sah sie zu der Verbindung, die sie nun dadurch geschaffen hatte, bis ihr etwas anderes dämmerte. "Aber du bist es." hauchte sie und zog ihre Hand langsam wieder zurück. Ihre Großmutter hatte mit dem Tod getanzt und sich nach ihm gesehnt, doch als er sie ereilt hatte war es nicht er gewesen. Sie führte ihre Hand näher zu ihrem Gesicht und musterte sie, als stünde dort eine Erkenntnis, die ihr bisher noch fehlte. Sie nicht findend legte sie ihre Hände zurück auf den Tisch und seufzte. "Ich werde erfahren, wieso Dorisa sich so nach dir verzehrte. Aber nicht hier." sagte sie und wusste nicht ganz, ob sie dies als Aufforderung ausgesprochen hatte den Ort zu verlassen oder um ihm zu sagen, dass dies nicht das letzte Treffen zwischen ihnen war.


Nie war ich jemand großartig spirituelles gewesen, noch hatte ich den Drang verspürt die Geheimnisse des Übernatürlichen zu hinterfragen. Zwar hatte ich vom Anbeginn meines Lebens die Ahnung und das Wissen besessen, dass es auf der Welt mehr Dinge gab, als sich mit bloßem Auge erkennen ließen und die Geschehnisse nicht alle mit purer Logik zu behandeln waren. Seelen, Geister, Erinnerungen, Schuld und Ahnungen hatte ich meist zu umschiffen gewusst um nie in direkte Konfrontation mit der Magie des unberechenbaren zu geraten. Nur die seltensten Fälle erforderten es, sich auf die Gefahren einzulassen, die hinter einem solchen Handel mit Gefühlen steckten - Elisabeth war zu ihrer Zeit eine dieser Entscheidungen gewesen und noch heute plagten mich die Zweifel, das richtige getan zu haben.
Ich hatte mir selbst den Antrieb geschaffen, der mich im Leben voran trieb. Nun jedoch, war ich gezwungen mir noch eine andere Frage zu stellen, jene die mir die Luft aus der Brust drückte und mir die Kehle verschloss, als ich ansetzte einen weiteren Schluck zu trinken. Hatte ich solch ein Spiel nicht bereits gekannt, den Drang sich von allen Fesseln zu lösen im Kampf mit dem unermesslichen Verlangen mich dieser Macht hinzugeben, der es eins vergönnt gewesen war über mein Leben zu richten. Dorisa, die Frau die mich aus den Fängen des Meeres fischte; legte sie mich erneut in Ketten, die meinen Geist an ihren banden?
Es war möglich - doch war es auch wahrscheinlich?
Mein Denken zeigte sich vom Alkohol bereits in trübe Farben getaucht und ebenso wie meine Geschichte ein Bruchstück der Wahrheit, so konnte es auch lediglich die Projektion meines müden Geistes sein, der die Gegenwart nicht länger vom Vergangenen trennen konnte. Es nicht mehr wollte, mich vor meinem eigenen Wissen schützte.
Ihre sachte Berührung riss mich aus meinem Bann und mit einem Blinzeln flog mein Blick erneut hinauf, während ihre Worte wie durch ein Tuch an mein Ohr drangen, weich, warm und weit entfernt. Ich hatte noch immer nicht vollkommen realisiert, dass Tenaya zu mir sprach und nicht ihre Großmutter, deren Kräfte sie, ebenso wie die Visionen an ein Leben vor deren Tod, geerbt hatte.
Der kurze Kontakt mit ihrer Haut rief eine beinah schmerzlich vertraute Empfinung wach, ein Gefühl des losgelösten Fallens und ich sehnte mich danach Schutz zu finden ... Schutz in ihren Armen, dort wäre ich sicher. Dort war ich sicher gewesen, bei Dorisa. Mir schien, als hätte ihre Enkelin erkannt wer ich war, oder besser gesagt, was ich war.
"Die Frage ist nur, ob wir es erfahren sollten", gab ich bedächtig zurück, ließ meinen Whiskey unbeachtet stehen und erhob mich langsam, um ihren Worten Folge zu leisten, nicht sicher was diese bedeuten würden. Einen vollständigen Abschied jedoch, wähnte ich im Moment für nicht möglich, zu viel war da noch, dass es galt zu erforschen. Vielleicht, sollten wir einfach nur das wesentlichste tun, das wovor ich mich die Jahre über stets gefürchtet hatte und was definitiv zu den Dingen zählte, die vom Übernatürlichen behaftet außerhalb meines Horzionts gelegen hatten - die See um Rat bitten. Im weiten Ozean nach Antworten fischen. Im Meer schwimmen und an jenen Ort zurück kehren, an welchem alles begonnen hatte.
so if the devil asks for a dance you better say never,
because a dance with the devil might last you forever.

Das was ihm an Spiritualität fehlte war alles, was sie verkörperte. Sie hatte alles schon mit der Muttermilch aufgesogen und war so wissbegierig in dieser Hinsicht gewesen, dass sie jede Kleinigkeit, jedes noch so winzige Detail in sich aufnahm wie ein Schwamm das Wasser. Sie lebte im Einklang mit der Natur und ihrer Umgebung, wobei sie sich sehr auf das Meer fixiert hatte und sicher anderweitig Probleme haben könnte, wenn dieses nicht in unmittelbarer Nähe war. 'Das Meer fließt in ihren Adern wie schon bei ihrer Großmutter' hörte sie oft die Menschen sagen wenn sie an ihnen vorbei ging. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war stimmte es auch. Wenn es ihr nicht gut ging suchte sie den direkten Kontakt zum salzigen Wasser, begrüßte die Umarmung der Wellen und brachte sich selbst dadurch wieder ins Reine. Und genau wie das Meer konnte sie mal ruhig und träge oder wild und aufbrausend sein. Sie war emotional und manchmal schien ihr Handeln nicht rational. Eben genau wie das Meer auf jemanden wirkte, der es nicht kannte.
Und genau diese Emotionalität machte sie selbst empathischer für andere Menschen. Denn niemand der nicht jede einzelne Facette des breiten Spektrums an Gefühlen kannte und auslebte wusste wie sie bei anderen Menschen auszusehen hatten. Niemand der weiß wie sich Wut anfühlte konnte sie beschreiben oder bei anderen Menschen erkennen und nachvollziehen. Niemand der je selbst nicht liebte konnte erkennen wenn er Liebe empfing. Und genauso wie sie atmen, essen, trinken und schlafen musste konnte sie ihre Gefühle und das Entdecken dieser nicht abstellen. So war es nicht weiter schwer für sie, die Verbindung zu erkennen, die zwischen ihnen zu bestehen schien. Es erschreckte sie ein bisschen, denn für sie war er noch immer fremd, auch wenn ein Teil in ihr an dieser Verbindung festhielt und sie begrüßte wie einen alten, verloren geglaubten Freund. Sie sah ihn zu ersten Mal und gleichzeitig auch nicht. Das Ganze war eine Situation, die ihr so noch nicht unter gekommen war und mit der sie auch erst einmal lernen musste umzugehen.
Als er aufstand hörte sie etwas verwirrt was er sagte und stand wie von unsichtbaren Fäden gezogen ebenfalls auf. Sie wollte nicht, dass er jetzt ging und vielleicht wieder aus ihrem Leben verschwand. Doch was jetzt folgen würde konnte sie ebenso nicht einschätzen. Was hatte er vor? Wo wollte er mit ihr hin? Schnell legte sie noch ein paar Münzen auf den Tisch bevor sie ihn noch einmal ansah und vor ihm hinaus in die frische Nachtluft trat, bereit ihm zu folgen wohin auch immer er mit ihr gehen wollte.



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